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Das Brot der frühen JahreMit Vortrag von Dr. Christine Hummel über die Gruppe 47
Regie: Herbert Vesely Buch: Herbert Vesely, Leo Ti, Hans Robert Budewell, Vorlage: Heinrich Böll Kamera: Wolf Wirth Musik: Attila Zoller Darsteller: Christian Doermer, Karen Blanguemon, Vera Tschechova, Eike Siegel, Gerry Bretscher Produktion: BRD, 62 Länge: 84 min. Fassung: 35 mm, s/w
„Alles war abgemacht. Alles vorgesehen. Ich blätterte die Zukunft um, wie ein Photoalbum.“ So klingt Walter Fendrichs (CD) Stimme aus dem Off. Er hat seinen festgefügten Platz in der Gesellschaft: Eine Anstellung als Mechaniker für Waschmaschinen in der Firma seines angehenden Schwiegervaters, ein eigenes Auto und eine Wohnung. Diese materielle Sicherheit ist ihm wichtig, hier fühlt er sich geborgen. Als er noch ein Kind war, mußte er ein einfaches Leben führen. Damals bedeutete das tägliche Brot Luxus. Das hat ihn stark geprägt. Heute scheint er zufrieden – zufrieden, nicht glücklich – mit seiner Verlobten Ulla Wickweber (VT), die im Gegensatz zu ihm repräsentativ für die bürgerliche Ordnung steht.
Als er Hedwig Muller (KB), einer früheren Bekannten, begegnet, beginnt der Bruch mit den Konventionen. Walter wirft sein ganzes bisheriges Leben weg. All das, was die Gesellschaft als normal ansieht, findet er plötzlich nicht mehr wichtig genug, um deren Anforderungen zu erfüllen. Aus passivem Konsumieren des Charakters entwickelt sich aktives Reflektieren. Er brüskiert seine Mitmenschen, wirft Ersparnisse „zum Fenster hinaus“. Schließlich kündigt er seine Arbeitsstelle und löst die Verlobung mit Ulla, womit er seine bisherige Existenz völlig aufgibt. Walter hat mit Hedwig eine neue, nie erfahrene Freiheit gewonnen: „Sie ist wie Brot, wenn ich Hunger hab, und ich hab immer Hunger gehabt.“
Böll schrieb Dialoge und Sprachtexte für den Film, wobei er darauf achtete, daß nie Partei ergriffen wird. Selbst Ulla, die fest in der Präsentations- und Konsumgesellschaft steht, wird nicht angeklagt. Herbert Vesely arbeitet die Gedanken, Gefühle und Positionen der Charaktere vor allem mit voice-over heraus, dabei kommen alle Positionen zu Wort. Zu den narrativen Neuerungen im Film zählen besonders das unchronologische Erzählen, was keine Schwierigkeiten beim Zuschauen bereitet, aber dennoch zu unkonventionellem Sehen zwingt: neu Sehen lernen, neu Hören lernen, neu Verstehen lernen. Der Film erhielt das Prädikat „besonders wertvoll“.
Mit einem kurzen Vortrag von Dr. Christiane Hummel:
"Herzlichen Glückwunsch, Gruppe 47! Eine kleine Hommage zum 60. Geburtstag".
Text: Jennifer Borrmann Spieltermin:
Dienstag, 04.12.2007 19:30 Uhr, Hörsaal 2006 |
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